Nach dem Frühstück in Kaikoura stießen wir gleich neben dem Café ein noch aktives Kino „Mayfair Theatre“, ein rosafarbenes Bonbon im Art-Deco-Stil, erbaut 1934. Nachdem wir uns daran sattgesehen haben, brachen wir nach Christchurch auf.

In den Beiträgen zu dieser Stadt habe ich beschlossen ausnahmsweise nicht nur eigene, sondern auch fremde Fotos (mit Links auf die Originale) zu verwenden: nämlich, um die Stadt vor und nach dem Erdbeben von 2011 zu zeigen. Ansonsten gibt es auch einen anderen Weg, die Stadt auf diese Weise zu erkunden: man ruft einfach Google StreetView auf. Im Menü oben rechts kann man das Datum wählen: von 2007 bis hin zu 2015. So kann man über zwei verschiedene Christchurch wandern. Es ist nichts für schwache Nerven.

Die Dame von der Rezeption des Hostels in Kaikoura, als sie erfuhr, wo wir hin wollten, winkte nur ab: „Dort gibt’s nichts zu sehen, nur Ruinen“. Wir dachten, dass sie übertreibt, und dass wir mindestens mal vorbeischauen müssten: alleine schon wegen der schönen Kathedrale. Wenn man noch nie an einem Ort gewesen ist, an dem ein Erdbeben passierte, weiß man nicht, worauf man sich einlässt.

In Neuseeland kracht es zwar recht oft, in Christchurch gab es aber gleich zwei starke Beben: am 4. September 2010 (ohne Opfer) und im Februar des darauffolgenden Jahres. Beim Februarbeben starben 185 Menschen, und die Gebäuden in der Stadtmitte haben starke Schäden genommen. Wie wir am Ort und Stelle später feststellten, sind sie entweder gleich umgefallen, oder wurden erst später abgerissen. Und zwar gleich blockweise.

Unsere Fahrt nach Christchurch führte uns durch die eingeschossigen und recht heil aussehenden Suburbs (übrigens ist Christchurch die größte Stadt auf der Südinsel, dort leben 380 Tausend Menschen) und wir waren damit beschäftigt, einen Parkplatz zu finden. Als wir das Auto verließen, war mir nicht sofort klar, was ich vor den Augen hatte: wenn überall Baustellen sind, hat es einen triftigen Grund – und nicht unbedingt einen guten.

So sah unser Parkplatz auf der Ecke Glocester Street / Manchester Street aus.

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Und so sah diese Kreuzung vor dem Beben am 22. Februar 2011 aus. An der Stelle des Parkplatzes befand sich die Bar „Iconic“. In der Zeitung habe ich gelesen, dass der Barkeeper starb, als er seine Schwester, die mit ihm dort arbeitete, aus dem einstürzenden Gebäude rettete.

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Das Haus rechts von der Bar, die Civic, wurde 1900 erbaut. 1917 brannte es ab, doch die Fassade hatte es überlebt. Im Februar 2011 stürzte die Fassade auf die Manchester Street. Später wurde das Gebäude vollständig abgerissen.

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© ketechristchurch.peoplesnetworknz.info

Wir gehen Richtung Stadtmitte der Gloucester Street. Ich lese den Reiseführer und murmele vor mich hin: „Hier muss eine historische Straßenbahn fahren“. Das tat sie, die Gleise sind noch da. Doch die Straßenbahn fährt nicht. Weder nach links, am erhaltenen Hotel „Rendezvous“ in Richtung Kathedrale…

Noch nach rechts, entlang der malerischen New Regent Street mit Geschäften, die wie alte spanische Missionen aussehen.

Die ganze Einkaufsstraße mit ihren Geschäften und Läden wurde anfang der 30er Jahre erbaut, in 1994 wurde die Straße zur Fußgängerzone, und 1995 ließ man die historische Straßenbahn darüber laufen.

Die Gebäude auf dieser Straße haben das Februarbeben recht gut überstanden. Einen Monat, nachdem wir dort waren, in April 2013, wurde die Straße wieder eröffnet. Jetzt fährt dort auch die Straßenbahn wieder.

Gleich daneben steht das Iaac Theatre Royal. Dieses Theater hatte Glück. Zwei weitere historische Theater von Christchurch haben das Erdbeben nicht überstanden, und auch Theatre Royal sollte abgerissen werden, da es stark beschädigt wurde. Doch die Bevölkerung war dagegen, man sammelte Spenden im ganzen Land. So sieht das Theater jetzt nach der Neueröffnung aus. Die schöne Edwardsche Fassade von 1908 konnte gerettet werden, genau wie viele andere Räume des Theaters.

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© idealog.co.nz

Auch Sir Ian McKellen hatte mit der Rettung zu tun: er trat früher in diesem Theater im Stück „Waiting for Godot“ auf und liebte es sehr. Als McKellen 2012 nach Neuseeland kam, um im „Hobbit“ mitzuspielen, bereiste er das ganze Land mit seiner Ein-Mann-Show, bei der er etwa 300 000 Dollar für die Restaurierung sammelte. Das letzte Spektakel fand in Wellington statt, wo McKellen mit dem ganzen Cast des „Hobbits“ auf die Bühne trat. In spezielle Eimerchen konnten sie weitere 11000 Dollar von den Zuschauern einsammeln. Es gibt viele Aufnahmen dieses Spektakels im Netz: hier eins in recht guter Qualität.

Ein rührendes Detail: McKellen hatte vor, einen Teil des Erlös an die Theater abzugeben, wo er auftrat. Jedoch wollte es keiner haben: alle haben gesagt, die Mittel sollen vollständig für die Rettung des Theaters aufgewendet werden. 2013 haben wir den Schauspieler ganz knapp verpasst: wir waren dort in März und haben gerade den Anfang des Wiederaufbaus gesehen.

Einige Monate später, bei den Nachdrehs für den Hobbit, hat Sir Ian die Baustelle besucht, um zu schauen, wie die Arbeiten voran gehen. Hier ein Nachrichtenbericht:

Wir gehen am Novotel vorbei. Dieser ist von Baugerüsten umhüllt und wird restauriert. Es ist erstaunlich, dass so ein hohes Gebäude es überstanden hat: die meisten Häuser in der Nachbarschaft mussten abgerissen werden.

Das Gebäude links vom Novotel ist auf den Google Maps von 2015 nicht mehr drauf.

Auf einem Zaun kann man die Infos entnehmen, welche Stadteile ganz abgeriegelt sind.

In der Ferne sieht man schon die Kathedrale, die wichtigste Sehenswürdigkeit von Christchurch. Das heißt, was davon übrig ist.

Wir kommen über völlig leere Flächen, wo früher überall Häuser standen.

Auch der Vorplatz ist abgeriegelt.

Erbaut wurde die Kathedrale nach einem Projekt des britischen Architekten John Gilbert Scott, der leidenschaftlicher Fan von Neugothik war und der sich unter anderem für das Prinz-Albert-Memorial in Hyde Park, das St. Pancras Renaissance London Hotel, das Hauptgebäude der Universität von Glasgow u.v.m. verantwortlich zeichnete. So sah die Kirche vor dem Erdbeben aus.

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© sarahjaneking.wordpress.com

Etwas später wurde die Bauaufsicht an den bekannten neuseeländischen Architekten Benjamin Mountfort übertragen. Er fügte zu Scotts Projekt Türmchen und kleine Balkons hinzu. Die Bauzeit der Kathedrale betrug sehr lange, auch wenn es kein Vergleich mit dem Kölner Dom ist: die Grundsteinlegung erfolgte 1864; die Eröffnung erfolgte 40 Jahre später, obschon die ersten Gottesdienste bereits 1881 stattfanden. Der Bau musste immer wieder aus Geldmangel pausieren.

Der 63 Meter hohe Turm war schon vorher durch Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Februar 2011 stürzte die Hälfte davon ein; später wurde er ganz abgetragen. In Juni und Dezember 2011 erfolgten noch zwei Beben, die dann die Fensterrose zerstörten. Auf dem Foto „vorher“ ist sie rechts vom Turm zu sehen.

Nach den Erdbeben begann ein Kampf um die Kathedrale: die anglikanische Kirche wollte sie abreißen; etliche Initiativgruppen waren jedoch dagegen. Das Gebäude steht immer noch, mittlerweile wurde gerade vor einigen Wochen beschlossen, es doch wiederaufzubauen. Erst der Anblick der Kirche zeigte uns die ganze Kraft der Natur, die Häuser zermalmt, als wären sie aus Pappe…

Fortsetzung folgt!